Ist das neue Institut wirklich ein großer Wurf?
Umstrittenes BIPAM
Berlin (opg) – Eine zutreffende Situationsbeschreibung stellt Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach an den Beginn der Pressekonferenz am 4. Oktober: „Unser Gesundheitssystem ist geprägt von sehr hohen Kosten, einer durchschnittlichen Lebenserwartung und einer mangelhaften Vorbeugemedizin“. Ob das neu zu gründende Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) die richtige Antwort darauf darstellt, ist jedoch alles andere als ausgemacht. Doch Lauterbach hat noch weitere Pläne.
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Wo drückt der „Präventionsschuh“?
Nießen weiß nach eigener Aussage ganz genau, „wo der Präventionsschuh in der Fläche drückt“. Für ihn besteht eine zentrale Lehre aus Corona darin, dass die Individualmedizin, sprich die kurative Medizin in Praxis und Klinik, Hand in Hand mit Bevölkerungsmedizin einhergehen müsse. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und auch in Krisen zu bewahren will er vor allem auf eine verbesserte Koordination von Public-Health-Aktivitäten setzen, den ÖGD insbesondere mit der Wissenschaft besser vernetzen und die Bevölkerung evidenzbasiert über Gesundheitsrisiken aufklären.
Das Betätigungsfeld des RKI wird im Zuge der BIPAM-Gründung auf Infektionskrankheiten eingeschränkt. Vor der Presse kündigt der neue Präsident und bisherige kommissarische Leiter, Prof. Lars Schaade, an, sich auf „neue Aufgaben und Zukunftsprojekte“ konzentrieren zu wollen. Er nennt unter anderem die Zusammenarbeit im internationalen Gesundheitsschutz, die Nutzung von KI in Public-Health-Forschung, eine vollständige Digitalisierung der Meldewege, genomische Surveillance, Antibiotikaresistenzen sowie die weitere Verbesserung der Krisenreaktionsfähigkeit des RKI bei Ausbrüchen und biologischen Gefahren. Während Lauterbach die klare Aufgabenteilung zwischen BIPAM und RKI betont, kündigt Schaade an, die Querverbindungen zwischen übertragbaren und nichtübertragen Krankheiten weiter im Blick zu haben. Dies betrifft unter anderem die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.
„Offensives“ Gesetz angekündigt
Auf der Pressekonferenz kündigt der Minister außerdem ein „offensives“ Gesetz zur besseren Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Dort bestehe im internationalen Vergleich die größte Lücke. Wenige Tage später kursiert bereits ein vierseitiges Impulspapier aus dem Bundesgesundheitsministerium. Darin heißt es: „Ziel der Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist es, durch ein Bündel an Maßnahmen die Früherkennung und die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.“ Das BIPAM solle die Initiative fachlich begleiten. Konkret werden vier Handlungsfelder genannt:
1. Verbesserung der Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen
2. Verbesserung der Früherkennung bei Erwachsenen
3. Stärkung von Disease-Management-Programmen
4. Reduzierung des Nikotinkonsums
Für Kinder und Jugendliche ist unter anderem die Einführung eines Lipid-Screenings mit Fokus auf familiäre Hypercholesterinämie bei der Früherkennungsuntersuchung U9 – mit anschließendem Kaskadenscreening von Familienangehörigen – vorgesehen. Die Untersuchungsinhalte sollen von den medizinischen Fachgesellschaften festgelegt werden, der Gemeinsame Bundesausschuss wird nicht erwähnt.
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Kritik am BIPAM
Bislang ist nicht bekannt, wann mit einem konkretisierenden Referentenentwurf zu rechnen ist. Derweil regt sich bereits Kritik am BIPAM. Der BMC spricht etwa von schweren Konstruktionsfehlern bei der Organisation des Instituts. Die Politik verpasse eine Chance, Public Health in Deutschland auf ein solides Fundament zu stellen, so Verbandspräsident Prof. Lutz Hager. „Um die Aufgaben zu erfüllen, brauchen wir ein agiles Institut, das Informationen bündelt und als Teamplayer mit den vorhandenen Strukturen Netzwerke baut.“ Die Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern, dem RKI, dem IQWIG oder Sozialleistungsträgern gelinge nicht aus einer schwerfälligen Bundesbehörde heraus, die weder flexibel aktuelle Fragen aufgreifen kann, noch einen Praxisbezug oder Verbindungen zur Versorgung aufweist. Hager kritisiert zudem die zu enge Ausrichtung des BIPAM: „Der Fokus auf Aufklärung in der Medizin lässt befürchten, dass gesundheitsrelevante Bereiche wie Pflege, Bildung, Ernährung oder Umweltfaktoren – Kernthemen von Public Health – ausgeblendet werden.“ Er mahnt ein breites Verständnis von Gesundheit an – „mit allen dafür relevanten Akteuren aus Forschung, Versorgung und Administration, die unter dem Dach eines ‚Deutschen Zentrums für Public Health‘ zusammenkommen.“
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Zu enger Fokus
Ähnlich äußern sich die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) und die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention in einer gemeinsamen Erklärung. Auch sie merken an, dass bereits der Name des Instituts eine Beschränkung auf den Bereich der Medizin mit einer engen Fokussierung auf Aufklärung vermittle. Die Experten vermissen einen umfassenden Blick auf Gesundheit – die Thematik der Gesundheitsförderung und die Stärkung von Schutzfaktoren fänden keine nennenswerte Beachtung. „Der Koalitionsvertrag hat einen großen Sprung nach vorne versprochen. Mit dem jetzigen Konzept besteht dagegen die Gefahr eines Rückschritts“, sagt der DGPH-Vorsitzender Prof. Ansgar Gerhardus. Um die öffentliche Gesundheit wirksam zu stärken, brauche das neue Bundesinstitut auch einen starken, ressortübergreifenden Fokus auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.